Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg ©
1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
vom 4.7.1992
Die falsche Tür und ihre Folgen
Ungefähr
auf halbem Weg zwischen den Chausseebrücken von Gustkow und
Neukrug lag im idyllischen Tal der Stolpe die Glashütte Slupp, was
im wendischen soviel wie Pfahl bedeutet. Auf dem
gegenüberliegenden Flußufer befand sich die „Kolonie Slupp“,
in der die Arbeiter der Glashütte wohnten, und als diese um die
Jahrhundertwende geschlossen werden mußte, weil sie gegen das
allmächtige Industrieglas nicht ankonnte, wurde daraus bis zu
Flucht und Vertreibung eine Waldarbeitersiedlung.
Fritz Willusch, oder wie die Leute sagten, Willuschs Fritz,
gehörte in der Glashütte zu dem herausgehobenen Berufsstand
der Glasbläser, was insbesondere die noch unbemannte Damenwelt in
der Umgebung recht reputierlich fand und ihn entsprechend hofierte,
denn Fritz war noch los und ledig. Daß ihn die jungen Damen aber
umschwärmten, wie die Motten das Licht, lag wohl auch daran,
daß er schon damals um den Wert des Eau de Cologne, also des
Kölnisch Wassers wußte, mit dem er sich vor jedem
Tanzvergnügen reichlich besprühte. Das behauptete jedenfalls
Wietzkes Leopold, sein schärfster Konkurrent und gleichfalls noch
auf Freiers Füßen, der aber zu knickrig war, sich das teure
Wasser aus Köln zu leisten und der deshalb statt Eau de Cologne
heftig nach Arbeitsschweiß roch, was die Damen nicht so
schön fanden.
Als Glasbläser verdiente Willusch nicht schlecht, war insoweit
Wietzke gleichfalls voraus, der zwar Schwerstarbeit als Heizer in der
Hütte leistete, doch weit weniger verdiente, was ihn
zusätzlich verdrießlich stimmte. Ganz besonders neidete
Leopold Fritz aber das Fahrrad, das jener als einziger aus der ganzen
Hüttenmannschaft besaß und das ihn in die Lage versetzte,
immer dann ins reizvolle Bütow zu strampeln, wenn die karge
Freizeit das zuließ. Weil die Mädchen in der Kreisstadt
angeblich hübscher wären als in den Dörfern, erregte
dies ebenfalls Leopolds Mißfallen, und es wurmte ihn noch mehr,
wenn Fritz vor andächtigen Lauschern in Arbeitspausen von den
Wochenmärkten berichtete und von dem, was er dort so alles erlebt
hätte. Dazu das Weibsvolk... Leo mutmaßte zwar schon lange,
daß Fritz mächtig aufschnitt, aber den Beweis dafür
konnte er nicht erbringen, weil er mangels eines Rades nicht oft nach
Bütow kam.
Reden machte Fritz auch mit seinen Floßfahrten auf der Stolpe von
sich, bei denen es „hoch hergehen“ sollte, besonders was die
Schönen anging. So machte er allen Mädchen in Groß und
Klein Pomeiske, in Gustkow und Dampen die Herzen heiß, bis es ihm
die Witwe Mathilde-Luise angetan hatte, die einsam auf einem Abbau
zwischen den Ortschaften lebte und einen ansehnlichen Bauernhof ihr
eigen nannte. Da sie nicht arm war, übersah Fritz es, daß
sie nicht gerade hübsch zu nennen war. Immerhin hatte sie ihre
besten Jahre schon hinter sich. „Die paar Jährchen, die sie ihm voraus war“, wie Fritz es
nannte, gönnte er ihr (es waren, bei Licht betrachtet, immerhin
elf), denn es war schon immer sein Wunsch gewesen, Herr auf eigener
Scholle zu sein.
So lenkte er seinen Drahtesel immer häufiger nach besagtem Abbau,
kreuzte dort aber niemals auf, ohne „seiner Tilde“ etwas mitzubringen.
Meist handelte es sich zwar nur um einen hastig am Weg gerupften
Blumenstrauß, doch auch darüber freute sich die alternde
Witwe, die zuletzt zur eigenen Hochzeit Blumen bekommen hatte, und das
war schon beinahe ein Vierteljahrhundert her. Ganz hatte Fritz ihr Herz
gewonnen, als er mit seinem neuen Filzhut bajuwarischer Art bei ihr
erschien, den ein ungewöhnlich großer Gamsbart zierte. Zwar
hieß Fritz bei seinen Arbeitskollegen fortan nur noch „Seppel“,
aber bei Tilde hatte er gewonnen, denn über Geschmack
läßt sich bekanntlich nicht streiten. Den hat man oder nicht
- und Tilde hatte ihn.
Etwas gab es trotzdem, was Tilde an Fritz störte, und das war sein
gewaltiger Alkoholkonsum, der sich bei seinen Besuchen durch starken
Munddunst unangenehm bemerkbar machte. Immerhin brachte es Fritz auf
bis zu zwei Flaschen Korn pro Tag, von den vielen Flaschen Bier ganz zu
schweigen, die er „wegen der Hitze“ in der Hütte konsumierte. Aber
Tilde war fest entschlossen, ihrem Fritz „dat Saufen“
abzugewöhnen, wenn sie ihn erst mal unter der Fuchtel hatte. Hatte
sie doch bei ihrem Verblichenen ähnliches hinter sich, und das mit
Erfolg.
Und wirklich schränkte Fritz das Trinken spürbar ein, nachdem
ihm Tildes Widerwillen daran auf gefallen war. Er wollte um keinen
Preis den schönen Hof aufs Spiel setzen - später würde
das anders werden, so dachte der Luntrus bei sich. Dann nahte wieder
mal der Jahrmarkt in Bütow, zu dem Fritz wohlweislich allein
gefahren war, weil er sich Tilde noch nicht ganz verpflichtet
fühlte. Dort machte er sich, wie gewohnt, einen schönen Tag.
Aß, trank, scharwenzelte mit den Mädchen und fand sogar ein
Lokal, wo getanzt wurde. Allmählich hatte er aber so einen zu
sitzen, daß seine Partnerin es ablehnte, mit ihm auf die Dielen
zu gehen, weil er ihr „dauernd auf die Füß' jepedd't“
hätte. Als es Abend geworden war, machte er sich auf den
Rückweg, an den er sich später nicht mehr erinnern konnte.
Es war die pralle Blase, die ihn mitten in der Nacht weckte und er
feststellte, daß er an Tildes Seite im Bett lag, die neben ihm
friedlich schlummerte. Er nahm das als sicheres Zeichen, daß sie
seine Rückkehr gar nicht bemerkt hatte und atmete auf. Ein Streit
am Morgen war kaum zu befürchten. So ein Glück aber auch...
Fritz erhob sich so leise wie möglich und wankte in Richtung
Küche, von der eine Tür direkt in den Hof führte.
Tückischerweise stand direkt daneben der alte riesige Schrank mit
allen Vorräten. In seinem Dschumm machte Fritz diese Tür auf
und verschaffte sich Erleichterung, in der sicheren Annahme, auf der
Schwelle des Hauses zu stehen. Eigentlich hätten ihn die
vollkommene Finsternis und das laute Plätschern mißtrauisch
machen müssen,, aber, wie gesagt, er war noch lange nicht
nüchtern. So kehrte er ins Bett zurück, wo ihn Tilde
gähnend nach dem Wetter fragte.
„'t 'is duster un beschwulken, un de chanze Wilt stinkt no Hering“,
brummte Fritz und schlief sofort wieder ein. Tilde dachte sich bei
dieser Mitteilung nichts Böses und drehte sich auch auf die Seite.
Die „Bescherung“wurde sie erst gewahr, als sie ihren Kindern zum Mittag
eingelegten Hering zu den Puhlkes auftischen wollte. „Nanu... ?“
murmelte sie und betrachtete mißtrauisch die im alten Steintopf
schwappende Essigtunke, „soveel hebb ich doch gor nich...“ Jetzt fiel
der Groschen bei ihr und sie setzte wütend hinzu: „Diss ull
Rübenschwien! Teif ma, dat meckst du mit mi nich noch eis!“ Schade
um den schönen Hering, den sie an die Schweine verfüttern
mußte. Fritz aber war für sie von Stund an gestorben.
Was hätte sie von einem sonst ansehnlichen Kerl gehabt, in dessen
Gemeinschaft sie immer erst hätte den „Wasserstand“ im Heringstopf
prüfen müssen, ehe sie ihn auf den Tisch brachte? Solchen
Unnosel als Mann - dann lieber mit ihren Kindern allein bleiben.
Ob Fritz noch mal solch ein „Unfall“ passierte, ist nicht bekannt geworden.
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© Klaus-Dieter Kreplin, Am Südhang 14, D-58313 Herdecke 2004