Ein frommer Schläfer
Niemals wird bekannt
werden, woher er kam, und keiner wird sagen können, wohin er ging.
Ungefähr zwei Jahre brachte er in Lupowske, dem nachmaligen
Grünenwalde, zu und wohnte beim Bürgermeister Paul Lehmann,
dessen stattlicher Hof außerhalb der Ortschaft gegenüber der
Franzoseninsel am Jassener See lag. Ihm genügte eine schlichte
Stube in dem alten Bauernhaus mit wenigen Möbelstücken, denn
der Siebmacher Daupke war ein spartanischer Mann.
In der ersten Zeit wußte gar keiner, welcher Zunft er
angehörte, denn er arbeitete reihum bei den Bauern des Dorfes. Mal
bei Herrmanns Franz, dann bei Bachers August oder seinem Bruder
Reinhold, die ihre Höfe am Weg nach Bresinke hatten, und einige
Zeit auch bei Albrechts Max in Hermannshof, mit dem ihn eine besondere
Vorliebe für die Magie verband, schließlich aber auch bei
„Herrn Pollack“.
Erst als Lehmanns Paul das Häckselsieb in die Brüche ging
und er mit Recht um die sorgsame Pferdefütterung bangte, sprang
Daupke ein und bewies, was für ein vortrefflicher Fachmann er auf
diesem Gebiet war. Als Lehmann dann in „Borks Krug“ das
Meisterstück mit beredten Worten pries, da wollte Bachers August
auch ein solches Sieb, weil an seinem schon lange seitwärts der
Hafer heraus rieselte. Danach war sein Bruder Reinhold an der Reihe,
und plötzlich wollten alle im Dorf so schöne Siebe haben.
Schließlich kamen die Bauern aus Bresinke, aus Neuendorf, Jassen
und den beiden Pomeiske - kurz, Daupke hatte mitten in der
Weltwirtschaftskrise sozusagen Hochkonjunktur.
Weil er jeden Pfennig krampfhaft festhielt und ihn mindestens
dreimal umdrehte, ehe er ihn ausgab, auch im Dorfkrug nie gesichtet
wurde, machten sich die Leute wegen seines „vielen Geldes“ so ihre
eigenen Gedanken. Dann sah irgend jemand Daupke in der Bütower
Blumenstraße aus der Wohnung einer Witwe kommen, und da hatten
sie's raus: Er verpraßte sein Geld mit losen Weibern. Das war
zwar nur ein Gerücht, aber Gerüchte haben es meistens in
sich.
Richtig daran war nur, daß Daubke immer dann mit der Bahn nach
Bütow fuhr, wenn sein Vorrat an Drahtgage ausgegangen war, die er
für seine Siebe benötigte, und er bei Jütten oder Thurow
für Nachschub sorgen mußte. Die Witwe war eine entfernte
Verwandte von ihm, die er bei diesen Gelegenheiten besuchte. Das Holz
für seine Siebe holte er übrigens umsonst von der
Franzoseninsel, und die Fische, von denen er überwiegend lebte,
angelte er gleichfalls umsonst im See.
Zugegebenermaßen stand er aber dem Kulturleben im Ort nicht
abhold gegenüber, denn er gehörte dem Gesangverein
„Schöne Stimmen“ an, und sein Tenor wurde gerühmt, weil
manchen Leuten beim hohen C ein Schauer über den Buckel lief.
Direkt berühmt waren seine gemeinsamen Auftritte mit Borks Herbert
und Schröders Willem, letzterer mit einer beachtlichen
Baßstimme. Borks Herbert war leider zuweilen
unpäßlich, weil ihm ein verspäteter Stimmbruch zu
schaffen machte. Womöglich wären die drei sonst noch
groß herausgekommen, so aber beschränkte sich ihr Ruhm auf
Lupowske.
Auch dem Kriegerverein war Daupke beigetreten und brachte es in dem
Verein bis zum stellvertretenden Kassierer. Sein heimliches Streben
nach dem Vorsitz durchkreuzte der Amtsinhaber, Bachers August, mit
rüden Bemerkungen wie „Dat is uck son Klaugschieter“ oder „Wat dei
ull Rumdriewer woll will“, die sein eigenes Ansehen stärkten, das
des Nebenbuhlers dagegen herabsetzten.
Als Schütze im Verein war Daupke hervorragend. Gegen seine
Leistungen konnte nicht mal der barsche Vorsitzende etwas einwenden.
Mehrere Male mußte er sogar gegen Borraß antreten und
stechen, wobei es den Grünrock gewaltig verdroß, daß
sich Daupke nach einem Sieg von seiner wenig spendablen Seite zeigte.
In einer Schrecksekunde der besonderen Art entfleuchte dem
Siebmacher dann aber doch sein Herkunftsort, allerdings führte das
auch nicht weiter, weil es davon gleich mehrere in Pommern gab.
Bürgermeister Lehmann ging mit seiner Familie allsonntäglich
nach Jassen, um als guter Christ dem Gottesdienst beizuwohnen, den in
der dortigen alten Fachwerkkirche der Superintendent Engel zelebrierte.
Um nicht als Heide verschrien zu werden, kaufte sich Daupke
Langschäfter und Breecheshosen und ging mit, obwohl er sich bis
dahin Gotteshäuser lieber von außen angesehen hatte. So fiel
es ihm denn auch gar nicht leicht, die durch lange Predigten des
Superintendenten ausgedehnten Gottesdienste zu überdauern, und er
sann auf Abhilfe.
Die fiel ihm dergestalt ein, daß er fortan mit gefalteten
Händen und gesenktem Haupt den frommen Beter mimte, in Wahrheit
jedoch ein wohlverdientes Schläfchen hielt. Das fiel nicht weiter
auf, weil Daupke zum einen seinen Platz mit Bedacht weit hinten in der
Kirche gewählt hatte und weil er zum anderen nicht schnarchte. Nun
ging aber auch sein Krug nur so lange zu Wasser; bis ihm der Henkel
brach, denn Gott läßt seiner nicht spotten.
Für den Ostergottesdienst hatte Superintendent Engel seine
Predigt nach dem Evangelium „Der Sturm auf dem Meere“ ausgewählt,
weil in der Karwoche die Fischer auf dem Jassener See in einen
furchtbaren Orken geraten und um ein Haar gekentert und „versoffen“
wären. Engel zog so gewaltig alle Register, daß auch die
verstocktesten Sünder ihm gebannt zuhörten, was nicht so oft
der Fall war. Ausgenommen allerdings der Siebmacher Daupke, der wie
immer den Schlaf des Gerechten schlief. Irgendwie drangen aber die
Donnerworte des Geistlichen auch in seine lieblichen Träume und
ließen seinen Schlaf flach und flacher werden.
Er wurde genau in dem Augenblick wach, als der Geistliche von der
Kanzel eine Hand in die Menge stieß und mit drohender Stimme
ausrief:
„Wem gehorchen Wind und Meere.... ?!“ Hier legte er eine Kunstpause ein.
Noch halb umnebelt, gewahrte Daupke die auf sich gerichtete Hand des Geistlichen und vernahm mit halbem Ohr dessen nun hallend hinzugesetztes: „... wer ist das?!“ worauf er sich zu Recht als Heuchler ertappt fühlte, aufsprang und vollkommen verdattert ausrief:
„Ick bin Siebmacher Daupke ut Labenz!“
Zu seiner großen Bestürzung wurde das hehre Gotteshaus
mit seinen schön bemalten Holzwänden im nächsten Moment
von einer so gewaltigen Lachsalve erschüttert, daß es sogar
dem Superintendenten die Sprache verschlug. Als er sich wieder
gefaßt hatte und seine Predigt fortsetzte, schlich sich Daupke
wie ein ertappter Dieb aus der Kirche und eilte heimwärts. Im
ersten Impuls war er nahe daran, sich von der Jassener Brücke in
den See zu stürzen, um sich zu „versaufen“, er besann sich aber
eines besseren und war schon beim Packen seiner Sachen, als Lehmanns
nach Hause kamen.
So, wie er gekommen war, verschwand er sang- und klanglos aus Lupowske, weil er mit dieser Schande nicht leben konnte. Die Legende vom „Siebmacher Daupke ut Labenz“ hielt sich aber noch lange.
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© Klaus-Dieter Kreplin, Am Südhang 14, D-58313 Herdecke 2004