Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg ©
1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
vom 20.8.1993
Jahrmarkt in Bütow
Jahrmarkt
in Bütow war ein herausragendes Ereignis nicht nur für die
Stadt, sondern für das ganze Umland. Vorweg sei gesagt, daß
den Leuten damals das Geld nicht so locker saß wie heute und
daß beinahe jeder die Mark umdrehte, ehe er sie ausgab. Kinder
waren damals schon mit einem Groschen glücklich, das reichte
für zweimal mit dem Karussel fahren, und wer kräftig genug
war und beim Anschieben eines Karussels mithelfen konnte, der durfte
anschließend einmal umsonst mitfahren.
Aber nicht nur die Kinder warteten sehnsüchtig auf den Tag mit den
vielen Buden auf dem Marktplatz vor der ehrwürdigen
Elisabethkirche, denn auch die meisten Erwachsenen fieberten dem
Jahrmarkt entgegen, der ungefähr viermal im Jahr stattfand. Meine
Eltern brachen schon immer in der Frühe mit dem Motorrad auf (mit
dem sie sogar in Bütow gekaufte Ferkel transportierten), das sie
bei Zielke in der Lauenburger Straße deponierten, der dort ein
Kolonialwarengeschäft besaß, in dem sie auch einkauften. Die
meisten Bauern fuhren aber mit Pferd und Wagen, so auch Heinrichs Emil,
der gleich in Neukrug „Bei Erdmann“ die erste Station machte und dabei
brummelte: „Underwegens gift dat Derscht.“ Ebenso kam er nicht bei
„Schwichtenberg“ in Klein Pomeiske vorbei, ohne wenigstens zwei Bier
und ebenso viele „Körner“ gekippt zu haben. In Bütow kehrte
er gleich in der Lauenburger Straße in einem Krug ein, wo er
gleichfalls das gewohnte Quantum konsumierte, und erst danach ging er,
meist schon ein bißchen benebelt, zum nahe gelegenen Viehmarkt,
wo es immer etwas für einen Bauern zu bestaunen oder zu kaufen
gab. Wie er, machten es übrigens die meisten Landwirte, wenn sie
auch nicht ganz soviel einkehrten wie Emil es tat.
Vom Viehmarkt schlenderte man die Lauenburger Straße hinunter,
bog in die Lange Straße ein und war wenig später dort, wo
das Jahrhundertereignis stattfand. Marktschreier und andere
Verkäufer boten hier alles Menschenmögliche an, und für
die Dorfleute war es eine wahre Lust, alles zu bestaunen, zu betasten
und - soweit erlaubt - zu probieren. Gekauft wurde eher
mäßig, aber doch auch, und zuweilen waren es sogar Sachen,
die eigentlich gar nicht wirklich benötigt wurden. So erinnere ich
mich, daß mein Bruder Gerhard einmal ein wahres Wundermittel
gegen Flecken aller Art mitbrachte, mit dem der
geschäftstüchtige Verkäufer vor Ort sogar Tintenflecken
aus einem Taschentuch entfernte, das sich zu Hause dann aber als
vollkommmen wertlos erwies und weggeworfen wurde. Ähnlich erging
es Kollaths Karl aus Wussowske, dem es unter die Haut ging, wie ein
anderer Budenverkäufer mit einem handlichen Gerät im Nu alle
möglichen Messer in richtige Rasiergeräte verwandelte.
„Dat is wat för min Hackselmeschinmetzer“, freute sich Karl und
erstand ein solches Exemplar für stolze 8 Reichsmark. Er hoffte
nämlich, mit dem Schleifgerät das zeitaufwendige Abmontieren
der Häckselmaschinenmesser mit dem noch zeitraubenderen
Schärfen am handbetriebenen Schleifstein für alle Zeiten der
Vergangenheit angehören zu lassen. Nun war besagtes
Schleifgerät - wenn überhaupt - wahrscheinlich für
Küchenmesser geeignet, denn als Wundergerät für
Häckselmaschinenmesser ist aus Wussowske nie eine Kunde gekommen.
Die meisten Angebote waren aber reell, und so kam mancheiner für
wenig Geld zu annehmbaren Gebrauchsgegenständen, freute sich aber
trotzdem diebisch, wenn andere sich „angeschmiert“ hatten.
Schadenfreude ist nun mal die schönste aller Freuden...
Mehr zum eigenen Pläsier suchten Förster Senkel und
Wachtmeister Kroll den Jahrmarkt auf, hatten beide für den Tag
doch extra Urlaub genommen. Senkel als ausgezeichneter Schütze
machte sich regelmäßig eine Gaudi daraus, irgendeine
Schießbude buchstäblich leerzuschießen. Nach einigen
Probeschüssen mit dem vom Budenbesitzer gestellten Luftgewehr
(Luftbüchse!), hatte er „den Bogen raus“, und jetzt war jeder
Schuß ein Treffer. „Mi uck noch 'n Blaum, Herr Ferschter!“ rief
ihm die ihn jedesmal umringenden Mädchen zu, und der Nimrod
ließ sich diesen Spaß was kosten und räumte die
Blumenwand der Bude restlos ab. Gewitzte Budenbesitzer, die den
Grünrock und seine Vorliebe schon kannten, spendierten ihm daher
an einer Getränkebude vorher soviel „Zielwasser“, daß die
wartenden Mädchen nicht mehr auf ihre Kosten kamen.
Kroll dagegen tat es wohl, sich mal unerkannt „unter das Volk zu
mischen“, sich an „warmen Würstchen“ zu erlaben und auch mal mehr
Bier zu trinken, als er sonst durfte. Übrigens war ihm ein paar
Wochen zuvor ein viel belachtes Malheur passiert. Naßforsch, wie
er im Dienst war, überraschte er einen Tippelbruder bei der
Notdurft im Straßengraben. „Was machst du Ferkel da?“ fuhr Kroll
ihn ungnädig an. „Dat seh'n Se doch, Herr Wachtmeester“, kam die
gemütliche Antwort. Da riß Kroll endgültig der
Geduldsfaden und er raunzte: „Die Papiere, Kerl, aber dalli!“ Worauf
der Wanderbursche, ohne sich vom Fleck zu rühren, bierruhig
entgegnete: „Herr Wachtmeester, im Sommer brauch' ick keene Papiere, da
nehm' ick Gras.“
Strucks Adolf nahm zum Jahrmarkt nicht nur seinen treuen Karo, sondern
auch sein Eheweib, die geborene von Tuchlinski mit. Beide gönnten
sich gleich an mehreren Buden „warme Würstchen“, sie mit Brause
und er mit Bier, schotschten dann noch eine Weile von einer Bude zur
anderen, ohne etwas zu kaufen, und gingen anschließend
regelmäßig zu Thier&Stockmann, wo die von Tuchlinski
sich eine neue Bluse oder ähnliches leistete. Sie gönnte sich
ja sonst nichts... So kam jung und alt zu seinem Vergnügen, egal,
ob sie aus dem entlegenen Pyaschen oder aus dem nahegelegenen Hygendorf
waren, aus Jassen oder Grünenwalde, aus Bresinke oder Zeromin.
Schmiedemeister Staschke erschien sogar aus Kleschinz, gemeinschaftlich
mit dem dortigen Bürgermeister Karl Keck.
Auf der Heimfahrt mit dem Zug hatte Senkel dann noch ein Erlebnis der
besonderen Art. Er saß gemeinsam mit seinem Nachbarn, dem
Hofmeister Nitz, der ebenfalls auf dem Jahrmarkt gewesen war, in dem
Triebwagen der Reichsbahn in Richtung Lauenburg, der allgemein nur
„Laura“ genannt wurde, als in Pomeiske ein junger Kerl zustieg und sich
ihnen gegenüber auf die Holzbank setzte. Der Förster
verzehrte gerade ein Stück Räucheraal, den er sich an einem
Stand geleistet hatte, und verfolgte mißvergnügt, wie der
Unnosel die Schuhe auszog und die nackten Füße zwischen ihm
und Nitz auf die Holzbank legte. Während draußen die
liebliche Landschaft bei Neukrug und Mühlchen vorbeiflog, beendete
Senkel sein Mahl, putzte sich das Fett von Schnauzbart und Lippen und
schnüffelte sodann verdächtig über den ausgestreckten
Quanten herum.
„Sie müssen entschuldigen“, sagte der junge Mann verlegen, „aber
ich bin junger Schweizer.“ Womit er offensichtlich den Stallgeruch
seiner Quanten erklären wollte.
Doch Senkel wollte ihm eine Lektion erteilen und erwiderte so laut, daß es alle hörten:
„So, so, ich dacht' schon, du bist 'n alter Limburger.“
So kamen sie mit Gelächter auf dem Bahnhof Jassener See an, wo
noch viele andere „Jahrmarktler“ausstiegen, und auf dem Heimweg freuten
sie sich schon auf das nächste Budenfest in Bütow.
Bereitgestellt von: Heimatkreis Bütow http://www.buetow-pommern.info
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© Klaus-Dieter Kreplin, Am Südhang 14, D-58313 Herdecke 2004