Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg ©
1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
vom 22.5.1993
Eisfischen
Fischermeister
Stropahl hatte ungeduldig auf mildere Temperaturen gewartet, um mit der
Eisfischerei beginnen zu können, weil bei Minustemperaturen unter
15 Grad das Netzwerk beim Herausziehen aus dem Wasser sogleich zu Eis
erstarrt und beim Verladen zerbricht, wodurch irreparable Schäden
entstehen. So atmete er auf, als der strenge Frost Ende Januar eine
Pause einlegte und trommelte eiligst seine Helfer zusammen, um mit der
alljährlichen Saison auf dem Eis des Jassener Sees zu beginnen.
Unter dem hohen Uferdamm bei Jassen beginnend, bewegten sich die
Fischer mit ihrer Arbeit in Richtung der Försterei Wobbrow um den
See herum und von dort allmählich auf der anderen Seeseite auf
Lupowske, das spätere Grünenwalde, zu. In der davor tief in
den Wald greifenden Kirchhofsbucht war jedesmal ein Rekordfang
angesagt, auf den alle besonders gespannt waren. Als sich die beiden
Arbeitstrupps von der vorgelagerten Doppelinsel auf das Ufer dieser
Seebucht zubewegten, mit langen Stangen (Ruten) die Netzflügel
unter dem Eis von einem Dreiecksloch zum anderen erst parallel zum
erlenbestandenen Ufersaum und endlich rechtwinkelig auf das Ufer selbst
zubewegend, fand sich eine erwartungsvolle Menschenmenge beim
großen viereckigen Auszugsloch auf dem Eis zusammen. Dort stand
der Fischermeister und stieß in unregelmäßigen
Abständen seine „Plumpskeule“ ins Wasser, die den
aufgestörten Fischen einen Fluchtweg versperren sollte.
Es waren hauptsächlich Neugierige aus Lupowske und Bresinke, die
zwischen dem Eisloch und dem Ufer eifrig schwatzend im Schnee
ausharrten, doch waren einzelne auch von weiter her gekommen, das
spannende Schauspiel mitzuerleben. Unter ihnen befand sich Strucks
Adolf mit seinem unvermeidlichen Bastardrüden Karo (jenem mit dem
„Herrn und den Flöhen“). Als die Fischer die Auszugsstelle in der
Kirchhofsbucht erreichten und ihre gedrungenen Schlitten für die
Aufnahme des Netzwerks am Eisloch aufstellten, näherten sich auch
die ersten Frauen aus dem Dorf, jede eine Schüssel oder einen
Leinenbeutel bei sich, um von dem Fang ein paar Pfund mit nach Hause zu
nehmen. Das Pfund Plötzen zu 30 Pfg. konnten sich auch die
Ärmeren leisten.
Im Moment führte Heinrichs Emil das große Wort, der sich in
Borks Krug schon gehörig „aufgewärmt“ hatte und der deshalb
bedenklich schaukelte. Als er um ein Haar ins Eisloch gefallen
wäre, scheuchte ihn Stropahl ärgerlich fort, obwohl er ihm
wie alle anderen die Abkühlung gegönnt hätte. Er
verabscheute Leute, die große Sprüche machen.
Das nasse Netzwerk auf den Schlitten hatte sich schon zu beachtlichen
Bergen aufgetürmt und dichte Korkenreihen zeigten den nahenden
Netzsack mit dem Fang an, als auf dem See entlang des Ufers sich Nemitz
mit seinem Pferdeschlitten näherte. Des Altenteilers Aufgabe es
war, die Beute zum Bahnhof zu bringen und dort zu verladen. Fische aus
dem ungewöhnlich klaren Jassener See waren in der ganzen Umgebung
begehrt. Nemitz machte bei den Neugierigen Halt, band die Leine an
einer Runge fest und legte seinem Fuchswallach mit bernsteingelber
Mähne und ebensolchem Schweif eine Decke über, damit sich das
Tier nicht erkältete. Obwohl sie Sonne schien, wehte es vom
Ostufer ziemlich kalt herüber. Während der alte Mann
ebenfalls den emsig das Netz aus dem Wasser ziehenden Fischern zusah,
gönnte er sich eine reichliche Priese Schnupftabak, die er mit
Genuß in seine geschwärzten Nasenlöcher einsog und
danach mehrere Male geräuschvoll nieste. Wenig später
verfolgte er, Unnosel der er war, mit hämischem Gesicht, wie sich
Strucks Karo an Bachers Augusts Langschäfter heranschnupperte,
vergnügt ein Bein hob und es bräunlich plätschern
ließ.
„Du verflucht ull Töl!“ erregte sich der Bauer, als er das Malheur
bemerkte, und jagte den Köter mit einem Fußtritt in die
Flucht.
„Dat schodt emm gor nischt“, feixte Nemitz in seinen riesigen Vollbart
hinein, der beinahe genauso lang war, wie der Schweif seines uralten
Wallachs. Er hatte vor Jahren mit Bacher einen Disput gehabt, den er
nicht vergessen konnte.
Dann war es allerdings an ihm, daß sich die Menge plötzlich
vor Lachen bog und die Frauen sich übermütig in den Armen
lagen: Nemitz war nämlich zu nahe an einen Netzschlitten
herangetreten und hatte nicht mitgekriegt, daß sein wallender
Vollbart zugedeckt worden war. Und weil er sich an der Schattenseite
des Schlittens befand, waren Bart und Netzwerk zu einem unentwirrbaren
Eisballen zusammengefroren. So stand Nemitz erstarrt da wie Lots Weib,
spie innerlich Gift und Galle und mußte doch geduldig den Spott
der anderen über sich ergehen lassen. Selkes Max, dieser Luntrus,
mimte auch noch den Mitleidigen, als er Nemitz einen vollen Eimer
Wasser über den Bart kippte, der zwar den Vollbart augenblicklich
aus dem Netz löste, ihm aber einen ganzen Schwall mitten ins
Gesicht verpaßte. Trotzdem war Nemitz heilfroh, sich wieder
bewegen zu können, und so lief er, sich das Wasser aus dem Bart
drückend, zu seinem Wallach, wo er sich abermals eine deftige
Priese gönnte
Dann war auch endlich der große Moment gekommen, auf den alle
sehnlich gewartet hatten, wo die Fischer den großen Netzsack
mühsam auf die Eisfläche zerrten und den prallen Inhalt ein
Stück entfernt in den Schnee schütteten. Wie erwartet,
bestanden die gefangenen Fische auch diesmal größtenteils
aus Bleien sämtlicher Größenordnung..
„Soveel as furchtet Johr sind et ober nich“, stellte Rutzen Armin unter
Anspielung auf den absoluten Fangrekord von hundertachtzig Zentnern mit
einem Seitenblick auf Stropahl fest. „Nee, nee, da fehlt 'n ganz Teil“,
räumte der ein und fügte hinzu: „Aber so anne fuffzig Zentner
können's uch sein“ Er fing an, den Frauen und Mädchen ihre
Schüsseln und Leinenbeutel zu füllen, wobei er das Gewicht
großzügig „über den Daumen peilte“.
Seine Helfer verluden unterdessen schon die ersten mit sortierten
Fischen gefüllten Kisten auf Nemitz' Schlitten, der die Leine
losband und wenig später mit klingenden Glöckchen in Richtung
Bahnhof Jassener See davon fuhr. Er würde den Weg wenigstens ein
halbes Dutzend mal machen müssen, und darüber würde es
dunkle Nacht werden, weil sich die Sonne schon hinter den hohen Kiefern
am Kirchhof in ihr Lager verkroch.
Die langen Schatten ließen es kälter über den See
wehen, so daß es die Neugierigen nicht länger am Eisloch
hielt. Während die Frauen und Mädchen nach Hause gingen, um
die Fische fürs Abendbrot zuzubereiten, suchten die Männer
„Borks Krug“ auf, um das große Erlebnis bei einem Bierchen und
einem Klaren noch einmal in allen Einzelheiten durchzusprechen. Bachers
August fand es gar nicht lustig, als die Rede auf ihn und Strucks Karo
kam, der ihm die Langschäfter bepinkelt hatte, dafür lachte
er umso lauter, als über Nemitz und dessen angefrorenen Vollbart
gesprochen wurde. Es war schon ein Erlebnis besonderer Art, beim
Eisfischen zuzugucken, deshalb waren sich beim Aufbruch alle einig, im
nächsten Jahr auch wieder dabei zu sein.
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© Klaus-Dieter Kreplin, Am Südhang 14, D-58313 Herdecke 2004