Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg ©
1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
vom 19.11.1994
Der Bienenvater
Der
olle Nemitz hörte es nicht ungern, wenn die Leute Bienenvater zu
ihm sagten. Eine gewisse Berechtigung hatte er auch dazu, denn in der
näheren Umgebung gab es keinen, der auch nur annähernd so
viele Bienenvölker sein eigen genannt hätte wie er. Die
Bienen waren außerdem sein ganzer Stolz. Es ging allerdings manch
einem auf die Nerven, wenn er damit prahlte, bisher auch nicht ein
einzigesmal von einem seiner fleißigen Honigträger
„gebissen“ worden zu sein. Am allermeisten ärgerte sich über
diese Behauptung Schröders Willem aus Bresinke, der darüber
nachdachte, wie er es dem Altenteiler „zeigen“ könne.
Endlich hatte Willem seinen Plan gefaßt und radelte nach dem
Walddorf am Schottofsker See, um den alten Mann für sein Vorhaben
zu gewinnen. Vorausgegangen war, daß ihn eins seiner
Bienenvölker jämmerlich zerstochen hatte. Er hatte eigens
für den Altenteiler eine halbe Flasche Schnaps mitgenommen, weil
Nemitz, wie die meisten Pommern übrigens, gerne einen hob, doch
hätte es des Feuerwassers gar nicht bedurft, weil Nemitz mit
sichtlicher Freude und Stolz zusagte, dem Imkernachbarn zu helfen.
Daran änderte auch nichts, als Willem scheinbar herumdruckste und
meinte, das besagte Bienenvolk sei besonders boshaft und
angriffslustig.
„Hebb ma kein Angst nich, Willemke, dat krej wi all henn“, versicherte
Nemitz und genehmigte sich nun doch noch den letzten Schluck aus
Willems Pulle.
So radelte denn Willem, dieser Unnosel, hochbefriedigt nach Hause, sah
er doch seinen Weizen reichlich aufgehen. Es handelte sich allerdings
wirklich um ein besonders grimmes Bienenvolk, dessen Begutachtung er
Nemitz zugedacht hatte, wie immer mal eins im Bienenstand vorkommt.
Erst unlängst hatten es die Stachelhelden dem stolzen Hofhahn,
einem prächtigen weißen Leghorn, gegeben, als der
flügelschlagend vor dem Stock laut gekräht hatte. Seitdem
lief der arme Hahn mit einem Kamm durch die Gegend, der so dick
angeschwollen war, daß es ihm den Kopf beinahe auf die Erde
drückte.
„Di ware se uck uppe Beins helpe“, brummte Willem in bissiger Vorfreude
vor sich hin, als er an den Gitzingwiesen vorbei radelte und meinte den
ollen Nemitz.
Der Altenteiler erschien am nächsten Morgen pünktlich zum
zweiten Frühstück auf dem Schrödershof, und er langte
tüchtig zu nach allem, was Amada, Willems bessere Hälfte, an
Köstlichkeiten aufgetischt hatte. Anschließend half Willem
Nemitz noch listig ein paar Klare ein; um ihn unvorsichtig zu machen,
und begleitete ihn in den Garten, an dessen äußerstem Rand
seine Bienenkörbe standen, der mit den schlimmen Immen ein ganzes
Stück abseits von den anderen.
„Cho ma henn, ick teif hier up di“, meinte Willem denn auch und blieb
unter dem uralten Kruschkenbaum stehen, in dessen mächtiger Krone
unablässig ein Buchfink schmetterte.
„Häst wohl de Bux vull“, spottete Nemitz und schritt wacker auf
den Bienenkorb zu, in dem nach Willems Meinung „minnestens“ zwei
Königinnen hausten, von denen eine nun mal überzählig
sei. „Dat war wi bull häbbe“, brummelte Nemitz, der sich zu
Willems Leidwesen von hinten an den Korb heranmachte. Daß er
keinerlei Schutzvorrichtungen trug, beruhigte Willem aber wieder.
Nemitz stand eine ganze Weile lauschend über den Bienenkorb
gebeugt, aus dessen Flugloch die Immen munter in die Feldmark
hinaussummten, und schüttelte endlich den Kopf.
„Nischt to seine un to höre“, meinte er endlich und kehrte zu
Willem zurück, „Ick glöw nich, dat do twei Weisel binne
sünd.“ Jetzt beging er den Fehler, die Einflugschneise der Bienen
zu kreuzen und wurde von diesen sofort attackiert.
Sichtlich erleichtert bemerkte Willem, wie Nemitz heftig mit den Armen
herumfuchtelte und sich zweimal klatschend gegen Stirn und Backe
schlug.
„Häbbe se die piesackt?“ erkundigte er sich hämisch.
„Neeke, nee, nee, mi daune se nuschtnich“, versicherte Nemitz und machte sichtlich größere Schritte.
Willem entkorkte die Flasche, die er schon früh morgens im
Fliederbusch kaltgestellt hatte, und bot Nemitz einen Schnaps an, den
dieser jedoch halb verschüttete, weil ihn genau in diesem Moment
eine Biene „biß“, die sich in seiner Hose verkrochen und die
schon giftig summend eine ganze Weile unter seiner Kleidung
herumgekrochen war. Während Willem der Einfachheit halber gleich
einen derben Schluck aus der Pulle nahm, bemerkte er, wie Nemiz
abermals heftig zusammenzuckte und sich an den rechten Oberschenkel
griff. Auf Willems fragenden Blick versicherte er auch jetzt, daß
ihn keine Biene „gebissen“ habe.
„Dunnerwettstock ober uck!“ entfuhr es ihm im nächsten Moment, und
er griff sich mit beiden Händen zwischen die Beine, wo er heftig
zu schubbern begann. Den nächsten Schnaps trank er trotzdem, ohne
das Glas zu verschütten, weil er so was Gutes nicht alle Tage
bekam. Dann piekte es ihn gleich zweimal so heftig am Unterbauch,
daß er mit den Füßen trampelte. Nemitz' Gesicht
färbte sich allmählich verdächtig rot, während ihm
Stirn und linke Backe zugleich mächtig anschwollen. Willems
böses Bienenvolk schien ein besonders tückisches Gift zu
produzieren...
Um sich nicht ganz zu blamieren, lehnte Nemitz den dritten Schnaps
dankend ab und verabschiedete sich ungewohnt eilig von seinem
Gastgeber. Der sah ihm hochbefriedigt nach, als er mit eiligen
Schritten vom Hof ging und in Richtung Schottofske davon schotschte.
„Dei chot jo noch grod as 'n Junger“, wunderte sich die olle
Pethkesche, die ihm zufällig begegnete . Es war aber auch zu
absonderlich, wie rasch der alte Mann noch ausschreiten konnte. Wie
sollte Pethkesche auch ahnen, welchem Umstand dieser zweite
Frühling des ollen Nemiz zuzuschreiben war.
Der hastete als erstes auf die mitten im Wald nahe Bresinke gelegenen
Gitzingwiesen zu, wo er im Bullengraben die unerträglich
brennenden Bienenstiche zu kühlen gedachte. Schon ein ganzes
Stück vor dem Graben riß er seine Kleider auf und
verscheuchte damit auch jene Bienen, die immer noch in seiner
Unterwäsche herumgekrochen waren. Enttäuscht stellte er fest,
daß der Bullengraben infolge der langen Dürreperiode nur
noch ein kümmerliches Rinnsal war.
„Vaflucht noch eis!“ wetterte er und stürmte quer über die
Wiesen auf eine Kiefernschonung zu, in der ihm beim Pilzesuchen eine
Wildsuhle aufgefallen war, in der noch Wasser stand. Von
blutrünstigen Pferdebremsen ständig umsurrt, erreichte er die
Suhle, zog sich nackend aus und warf sich längelang in die
aufspritzende schwarze Brühe. „Aaah, deit dat gaud!“ stöhnte
er auf und prustete und planschte danach wie ein Wildschwein, sich in
dem kühlen Modder behaglich von einer Seite auf die andere
wälzend. Er spürte deutlich, wie das schmerzhafte Brennen an
seinem Unterleib allmählich nachließ. Außerdem sollte
Modder auch gegen Rheumatismus helfen, der ihn besonders im Herbst
plagte. Nur zu gut konnte Nemitz jetzt die Hirsche und Schwarzkittel
verstehen, die es immer wieder an diesen herrlichen Erholungsort zog.
Ausgerechnet um diese Zeit kam Förster Borraß an den
Gitzingwiesen entlang, um zum Mittagessen zu Hause zu sein. An einem
Wildwechsel, der in eine Schonung führte, verhoffte der
Grünrock und bestaunte die mächtige Fährte eines
Hauptschweins, die sich aus den Trittsiegeln der anderen Schwarzkittel
deutlich abhob. Plötzlich stutzte der Nimrod und hob lauschend den
Kopf, denn aus der Dickung war in schwer abschätzbarer Entfernung
lautes Stöhnen und Schnaufen zu vernehmen.
„Ein Wilddieb!“ schoß es Borraß durch den Kopf. Es gab
für ihn keinen Zweifel, daß in der Schonung ein Stück
Wild in eine Schlinge geraten war und mit dem Ersticken kämpfte.
Zwar hatte Golks Paul erst vor kurzem den schlimmen Wildschützen
Felix Glodowske hinter schwedische Gardinen gebracht, aber es war nicht
ausgeschlossen, daß sich schon wieder so ein Luntrus im Revier
herumtrieb...
Borraß riß die Flinte von der Schulter und pirschte
behutsam in die Kusseln hinein, aus denen auch weiterhin die
Geräusche des vermeintlich mit dem Tode kämpfenden Wildes an
sein Ohr drangen. Am Rand einer kleinen Lichtung blieb der Förster
jedoch abrupt stehen und senkte den Flintenlauf, weil nämlich im
selben Moment aus einem Modderloch eine pechschwarze menschliche
Gestalt hoch schoß und erschrocken einen Satz nach vorn machte.
„Halt, stehen geblieben!“ donnerte der Grünrock und fummelte
drohend mit der Flinte herum. Während der „schwarze Mann“ auf dem
Fleck verharrte und der Förster schon den Mund zu einer Philippika
aufmachte, erkannte er den Altenteiler Nemitz aus Schottofske und
drehte sich abrupt um. Unverständliches vor sich hinbrummelnd,
tauchte Borraß in den kleinen Kiefern unter und ließ den
verdatterten Nemitz an dem Modderloch stehen. Wirre Gedanken setzen ihm
zu, denn was konnte ein sonst ganz normaler Mensch in einer Wildsuhle
suchen... ? Dann fiel ihm aber ein, daß Modderpackungen gegen
Rheuma helfen sollen, und das war sicher die Erklärung.
Borraß machte, daß er weiter kam, für ihn war der Fall
damit erledigt.
Nemitz dagegen eilte, seine Kleider in einer Hand, erleichtert in der
entgegengesetzten Richtung davon, hatte er doch wegen seiner
Blöße Scheltworte des Försters erwartet.
„Minsch ist hei doch“, stellte er bei sich fest und fügte
versonnen hinzu: „Minsch sin mut de Minsch.“ Dann verhoffte er vor dem
breiten Feuerschutzstreifen und sicherte eine ganze Weile nach allen
Richtungen. Erst als er ganz sicher war, allein zu sein, trabte er
rasch auf die andere Seite und steuerte auf die weißen Moore zu,
die nicht weit entfernt waren. Dort wusch er sich an einem Wasserloch
gründlich den angetrockneten Schlamm ab und verscheuchte
zwischendurch immer wieder mit seiner wütend geschwungenen
Unterhose die blutgierigen Bremsen, die ihn wie eine Wolke umgaben. Als
er sauber war und sich angezogen hatte, schotschte er gemächlich
seinem Dörfchen am See zu, allerlei Gedanken nachhängend.
Obwohl er dann und wann ein Brummen des absoluten Wohlbefindens von
sich gab, was ein sicheres Zeichen dafür war, daß der Modder
ihm nicht nur die Beulen gekühlt, sondern auch die Schmerzen
gelindert hatte, kam ihm die ganze Sache doch irgendwie spanisch vor.
Ob dieser vermaledeite Willem etwa...
Kam später die Rede auf die Bresinker Bienen, dann zeigte sich
Nemitz jedesmal ungewöhnlich zugeknöpft, und er behauptete
fortan auch nicht mehr, von Immen nicht „gebissen“ zu werden. In dieser
Beziehung hatte ihn Willem gründlich kuriert. Bienenvater
hörte er sich aber auch danach noch gern nennen.
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© Klaus-Dieter Kreplin, Am Südhang 14, D-58313 Herdecke 2004